Die Digitalisierung der Lehre steht seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ganz oben auf der Agenda der Hochschulen. Zum Abschluss der BayWISS-Veranstaltungsreihe „Resilienz und Innovation in Krisenzeiten – Die Verantwortung der bayerischen Hochschulen“ am 30. September 2020 diskutierte ein hochkarätig besetztes Panel – natürlich online – über Möglichkeiten und Schwierigkeiten digitaler Lehre für Dozent*innen und Studierende. Klar ist: Die Hochschulen stehen am Anfang eines Weges, der kein leichter sein wird.
Die Corona-Pandemie schärft den Blick. Seit dem Ausbruch von Covid-19 werden in unserer Gesellschaft Entwicklungen deutlich, die zuvor zwar schon im Gange waren, aber nicht so in den Vordergrund traten. Diese Beobachtung gilt auch für das weite Themenfeld der digitalen Lehre an Hochschulen, das zwar nicht neu ist, aber durch die pandemiebedingte Einschränkung von Präsenz-Veranstaltungen eine neue Dringlichkeit erfahren hat. „Wir wurden alle ins kalte Wasser geworfen“, bekannte Ingo Kollar, Professor für Pädagogische Psychologie, der an der Universität Augsburg zu digitalem Lehren und Lernen forscht. Sowohl Studierende wie auch Dozierende mussten gewissermaßen über Nacht von der Präsenzlehre auf digitale Formate umstellen. Doch wie kann es gelingen, aus der kurzfristigen Not eine langfristige Tugend zu machen? Wo liegen die Chancen und die Risiken digitaler Lehre? Und welche Erkenntnisse hat dieses Hochschuljahr im Ausnahmezustand gebracht?
Chance zur Innovation
Auf all diese Fragen gibt es naturgemäß noch keine definitiven Antworten. Unter den Teilnehmer*innen der Diskussion schien es jedoch ausgemacht, dass es kein Zurück zum Status quo ante geben kann – auch wenn sich das offenbar doch einige Studierende und Dozierende wünschen. Das zumindest hatte eine Umfrage an der Universität Basel ergeben, die Gerhard Lauer, dort Professor für Digitale Geisteswissenschaften, in seinem Impulsvortrag zu Beginn der Veranstaltung ins Feld führte. Er machte klar, dass digitale Lehre für sich genommen zwar kein Allheilmittel für Lehre an Hochschulen ist, aber dennoch neue, beinahe quasi-revolutionäre Möglichkeiten bietet. „Es wäre es wichtig, Kompetenzen in den verschiedenen Fächer zusammenzuschalten, um den Studierenden eine bessere Lehre anbieten zu können“, sagte Lauer. Vernetzung ist auch für Professor Michael Lichtlein, Vizepräsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg, ein entscheidender Punkt. Von „einem Sprung zurück“ hält er gar nichts. Vielmehr gelte es jetzt die Chance zur Innovation zu ergreifen. Dafür brauche es das richtige „Mindset“ und eine andere Einstellung zur digitalen Lehre – insbesondere auch unter Lehrenden.
Viel Aufwand, wenig Anerkennung
Längst nicht alle Kolleg*innen nämlich sehen in dem neuen Drive zur digitalen Lehre eine Chance. Wie die Diskussion zeigte, sind die Gründe dafür vielfältig. Prof. Kollar beschrieb das weitverbreite Gefühl mangelnder Selbstwirksamkeit angesichts der Vielfalt der technischen Möglichkeiten – auch wenn viele Dozent*innen hier in den vergangenen Semestern Quantensprünge gemacht haben. Prof. Lauer führt den Grund für die augenfällige Zurückhaltung im Bezug auf digitale Lehre auf das „Reputationssystem“ an universitären Einrichtungen zurück. Mit Lehre und gleich gar mit zeitaufwendigen und innovativen digitalen Lehrformaten ließen sich eben keine akademischen Meriten erwerben. „Hier müsste man dringend neue und andere Anreize schaffen“, schlug Professorin Susanne Leist vor, Vizepräsidentin für Digitalisierung, Netzwerke und Transfer der Universität Regensburg, wo sie einen Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik innehat. Die Bereitschaft zu innovativer und vor allem auch vielfältiger digitaler Lehre müsse sich lohnen – für die Lehrenden und auch die Studierenden.
Digital lehren lernen
Leicht wird diese Einstellungsänderung nicht zu erreichen sein, denn dem beherzten Schritt in eines neues Zeitalter der Lehre steht noch ein anderes Hindernis entgegen: ein Mangel an didaktischer Kompetenz in Bezug auf digitale Medien und Unterrichtstools. Dr. Judit Tuschak, die das Netzwerk der didaktischen Einrichtungen der bayerischen Universitäten „ProfiLehrePlus“ koordiniert, sieht hier großen Handlungsbedarf: „Es muss systematisch in Weiterbildung auf Seiten der Lehrenden investiert werden.“ Darüber hinaus plädierte sie dafür, eine Strategie zu entwickeln, wie, wann und wo digitale Lehrformate sinnvoll, nutzbringend und als Ergänzung zu Präsenzlehre eingesetzt werden können. Denn die reine Lehre – weder in Präsenz noch digital – sei nicht zielführend.
Ein Ort für Gemeinschaft
Gerade der soziale Aspekt universitären Lebens und Lehrens dürfe keinesfalls vernachlässigt werden, war sich das virtuelle Podium einig. Die Hochschule ist auch ein wichtiger Ort für Gemeinschaft, für Begegnungen und soziale Interaktion. „Das haben viele Studierende und Dozierende vermisst“, dieses Fazit hat Prof. Kollar aus einigen Befragungen an der Uni Augsburg gezogen. Anna-Maria Trinkgeld konnte das nur bestätigen. Die Studentin der Umweltsicherung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf nahm als Vertreterin der bayerischen Studierendenvertretungen an dem Panel teil. Die Studierenden seien online zwar insgesamt flexibler gewesen, aber die gemeinsam Nach- und Vorbereitung von Seminaren und Vorlesungen sei zum Nachteil der Studierenden flachgefallen. Jetzt hofft sie, dass aus den Erfahrungen dieser für alle Beteiligten anstrengenden „Corona-Semester“ die richtigen Schlüsse für die (digitale) Lehre gezogen werden. Ihr Wunsch: „Die guten Elemente sollen aus der Zeit der Pandemie übrigbleiben.“
5 Thesen zur Digitalen Lehre
- Die Digitalisierung der Lehre kann die Universität als sozialen Ort nicht ersetzen: Gute Lehre an den Hochschulen wird immer aus einer Mischung aus digitalen Formaten und Präsenzveranstaltungen bestehen.
- Die Digitalisierung der Lehre erfordert Anpassungen der Lehrinhalte und neue Lehrformate. Bestehende Angebote und Inhalte können nicht einfach eins zu eins in den digitalen Raum übertragen werden.
- Die Digitalisierung der Lehre erfordert Weiterbildung, zusätzliche didaktische Fähigkeiten und besseres Selbstmanagement – auf Seiten der Lehrenden und der Studierenden.
- Die Digitalisierung der Lehre besteht nicht in Automatisierung. Sie macht Lehre unterm Strich aufwendiger und teurer. Finanzielle Unterstützung von Seiten der Politik ist deshalb unerlässlich.
- Gute digitale und digital gestützte Lehre soll den Austausch und die Vernetzung einzelner Hochschulen ermöglichen und vorantreiben. Ziel ist es, die Lehre insgesamt zu verbessern.
Die Veranstaltungsreihe „Resilienz und Innovation in Krisenzeiten – die Verantwortung der bayerischen Hochschulen“ist eine Veranstaltungsreihe des Bayerischen Wissenschaftsforums – BayWISS. Dem Auftakt am 6. Juli 2020 folgten im Juli und September Gesprächsrunden für Expert*innen.