Lehren aus der Krise: Die bayerischen Hochschulen setzen auf Nachhaltigkeit
Gegen Ende des Corona-Sommersemester 2020 haben die bayerischen Hochschulen eine erste Bilanz gezogen und angesichts der Corona-Pandemie und der Klimakrise eine intensive Diskussion begonnen über ihre Verantwortung für Nachhaltigkeit und Resilienz unserer Gesellschaft.
Was können, sollen und müssen Hochschulen angesichts der aktuellen Herausforderungen leisten, um mehr Nachhaltigkeit und damit auch eine höhere Krisenfestigkeit der Gesellschaft zu erreichen? Diese drängende Frage hat eine hochkarätig besetzte Online-Konferenz am 6. Juli 2020 intensiv und offen diskutiert. Die Veranstaltung mit dem Titel „Resilienz und Innovation in Krisenzeiten – Die Verantwortung der bayerischen Hochschulen“ war der Auftakt zu einem Austausch der bayerischen Hochschulgemeinschaft rund um das Zukunftsthema Nachhaltigkeit und Resilienz – und die dafür nötigen strukturellen Veränderungen in Forschung, Lehre, Weiterbildung sowie Betrieb, aber auch im Selbstverständnis der Hochschulen als Teil der Gesellschaft. Die Auftaktveranstaltung wurde von BayWISS in Kooperation mit dem Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern durchgeführt.
Die Pandemie schafft Brisanz
Auf dem digitalen Podium der gemeinsam mit dem Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern organisierten Veranstaltung saßen Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Thomas F. Hofmann, Präsident der TU München und Prof. Dr. Christiane Hellbach, Vizepräsidentin der OTH Amberg-Weiden und wie Moderator Prof. Dr. Markus Vogt, LMU München, stellvertretende*r Sprecher*in des Netzwerks Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern.
In ihren Grußworten betonten Prof. Dr. Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth und Vorsitzender des Lenkungsrats des Bayerischen Wissenschaftsforums – BayWISS, Prof. Dr. Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Universität Augsburg, und Prof. Dr. Walter Schober, Präsident der TH Ingolstadt, wie wichtig die Auseinandersetzung der Hochschulen mit den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist. Spätestens seit der Corona-Pandemie hat die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft besondere Brisanz. Das zeigte auch die rege Teilnahme an der Konferenz, die von rund 300 Teilnehmer*innen im Livestream verfolgt und im Chat eifrig kommentiert und um interessante Fragen und Beiträge ergänzt wurde.
Die Wissenschaft ist unverzichtbar
Die drei Schlüsselworte Kommunikation, Kooperation und Koordination fielen immer wieder, wenn es um die gigantischen Herausforderungen geht, die uns als Gesellschaft bevorstehen: der schnell fortschreitende Klimawandel, Artensterben, die Folgen der weltweit wütenden Pandemie oder auch Digitalisierung. „Am Thema Nachhaltigkeit wird in den nächsten Jahren keine Hochschule vorbeikommen“, konstatierte Prof. Dr. Stefan Leible. Und es wird auch keiner an den Hochschulen vorbeikommen, wenn es darum geht, den Herausforderungen der Zukunft strukturiert und wissenschaftlich fundiert begegnen zu können. „Die Wissenschaft ist für Bewältigungsstrategien in den komplexen Krisen unverzichtbar, das hat die öffentliche Diskussion und die politische Entscheidungsfindung gerade in der Pandemie deutlich gemacht“, sagte Prof. Dr. Markus Vogt, stellvertretender Sprecher des Netzwerks Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern, der die Podiumsdiskussion inhaltlich verantwortet und moderiert hat.
Mit leuchtendem Beispiel voran
Dieses Momentum wollen die Hochschulen nutzen und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen: „Wir brauchen ein neues Selbstverständnis der Hochschulen“, sagte TUM-Präsident Prof. Dr. Thomas Hofmann. Er wünscht sich mehr Agilität, mehr Flexibilität und mehr Handlungsfreiraum an den Hochschulen. „Universitäten müssen Demonstratoren und Innovatoren für Nachhaltigkeitsthemen sein“, fordert Hofmann. Er sprach sich zudem im Sinne des Lebenslanges Lernens für einen Ausbau der Angebote der Akademischen Weiterbildung aus und dafür, dass das, was an den Hochschulen entwickelt wird, dort im Sinne einer Erstanwendung auch selbst umgesetzt wird. Hofmann fordert, Nachhaltigkeit in den Hochschulen strukturell zu verankern, zum einen die Nachhaltigkeitsstellen an allen Hochschulen zu stärken, zum anderen solle pro Hochschule ein*e Vizepräsident*in das Thema Nachhaltigkeit verantworten – dies ist in Bayern derzeit erst an wenigen Hochschulen der Fall.
Das Podium war sich einig, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit in punkto Nachhaltigkeit unabdingbar ist. Einzelne Studiengänge oder Zertifikatsprogramme zur Nachhaltigkeit werden langfristig nicht ausreichen. „Die konsequente und systematische Integration und Umsetzung von Nachhaltigkeit in alle Handlungsfelder von Hochschulen sollte verpflichtend in den nächsten Zielvereinbarungen für alle bayerischen Hochschulen festgeschrieben werden. Nur dadurch schaffen wir die dringend nötigen strukturellen Veränderungen“, ist Prof. Dr. Christiane Hellbach überzeugt. Die Vizepräsidentin der OTH Amberg-Weiden plädiert für einen gesamtinstitutionellen Ansatz, der die Lehre (z.B. auch über Methoden wie Co-Teaching) sowie – ganz wichtig – die Student*innen aktiv einbinden und Vernetzungsmöglichkeiten stärken müsse. Zudem sprach sich Prof. Hellbach dafür aus, EMAS-Zertifizierungen der Hochschulen auszuweiten.
Nachhaltigkeit als Schicksalsfrage
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer sieht die Wissenschaft nicht nur im Sinne von mehr Forschung und Innovation (z.B. Clean-Tech) an sich gefordert, sondern auch beim Transfer und bei der Politikberatung: „Innovationen müssen in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet sein und benötigen einen politischen Rahmen“. Es sei an der Wissenschaft, Expertinnen und Experten dafür entsprechend auszubilden, zu fördern und ihnen Karrierewege zu eröffnen, gerade auch für Forscher*innen, die ihre Fähgikeiten zum interdisziplinören Arbeiten unter Beweis gestellt haben. „Die Wissenschaft muss die Entscheidungsprobleme der Politik ernst nehmen“, fordert Edenhofer. Und damit meint er nicht nur die jeweilige Landes- oder Bundesregierung. Für den renommierten Ökonomen ist internationale Kooperation für Nachhaltigkeit eine „Schicksalsfrage“. Insbesondere mit den Ländern Südostasiens müsse Europa ins Gespräch kommen, um das Problem der klimaschädlichen Emissionen zu lösen. Edenhofer warnte diesbezüglich vor einem Rückfall in alte Muster: „Ich sehe das ernsthafte Risiko, dass wir im Kern so weitermachen wie bisher.“
Vom Wort zur Tat
Nötig sind also nicht nur Worte, sondern auch Taten. „Wir müssen den Auftrag der Hochschulen, in die Gesellschaft hineinzuwirken, ernsthaft umsetzen und nicht nur wohlgesetzte Worte in den Mission-Statements der Hochschulen aufscheinen lassen“, sagte Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Er hofft, dass die Campi der Hochschulen bis 2030 Muster für nachhaltige Strukturen sein können. Mit Blick auf den aktuellen Invesitionsstau und die großen Defizite bei der Energie- und Wärmeeffizienz sprach er sich für ein neues Hochschulprogramm mit Sanierungs- und Neubaukomponente aus. Darüberhinaus empfahl er das Instrument der Zielvereinbarungen: In einem internen System (z.B. für Emissionen innerhalb einer Hochschule) seinen Soll- und Ist-Zustände transparent darzustellen; Einheiten, die Ziele nicht erreichen, müssen dann in einen Topf einzahlen, der für Kompensationsmaßnahmen verwendet wird.
Prof. Dr. Gordon Thomas Rohrmair, der allen Beteiligten herzlich dankte, pflichtete dem in seinem Schlusswort bei: „Es ist klar geworden, dass für echte Resilienz und Innovationen eine gesamtinstitutionelle Implementierung von Nachhaltigkeit an unseren Hochschulen in Bayern ganz oben auf der Agenda stehen sollte”, sagte der Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften Augsburg und stellvertretender Vorsitzender des BayWISS-Lenkungsrats. Nachhaltigkeit sei ein Zukunftsfeld für die Hochschulen, diese bräuchten dafür von der Politik aber freilich auch finanzielle Unterstützung.
Die Veranstaltungsreihe „Resilienz und Innovation in Krisenzeiten – die Verantwortung der bayerischen Hochschulen“ist eine Veranstaltungsreihe des Bayerischen Wissenschaftsforums – BayWISS. Dem Auftakt folgen im Juli und September Gesprächsrunden für Expert*innen. Das Programm finden Sie auf https://jahreskolloqium.baywiss.de.
Zum Start des Live-Mitschnitts das Video anklicken.
Programm der Auftaktveranstaltung "Resilienz und Innovation in Krisenzeiten - die Verantwortung der bayerischen Hochschulen"
BEGRÜSSUNG
Prof. Dr. Stefan Leible
Präsident der Universität Bayreuth, Vorsitzender des Lenkungsrats des Bayerischen Wissenschaftsforums – BayWISS
GRUSSWORTE
Prof. Dr. Sabine Doering-Manteuffel
Präsidentin der Universität Augsburg, Vorsitzende Universität Bayern e.V.
Prof. Dr. Walter Schober
Präsident der TH Ingolstadt, Vorsitzender Hochschule Bayern e.V.
IMPULS UND PODIUMSDISKUSSION
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
Direktor des Potsdam–Institut für Klimafolgenforschung
Prof. Dr. Peter-André Alt
Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Prof. Dr. Thomas F. Hofmann
Präsident der TU München
Prof. Dr. Christiane Hellbach
Vizepräsidentin der OTH Amberg-Weiden
Moderation: Prof. Dr. Markus Vogt
LMU München, stellv. Sprecher Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern
ABSCHLUSS
Prof. Dr. Gordon Thomas Rohrmair
Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften Augsburg, stellv. Vorsitzender des Lenkungsrats des Bayerischen Wissenschaftsforums – BayWISS